Gedanken zur Architektur

Gedanken zur Architektur

 
Architektur muss aus sich selbst heraus sprechen. Deshalb möchte ich nur einige wenige Gedanken, die dem Entwerfen voraus gehen und die auch bei unserer Arbeit eine Rolle spielten, an den Anfang stellen.
 
Die gegenwärtigen Tendenzen in der Architektur lassen eine Unsicherheit erkennen. Als Reaktion auf eine einseitig funktionalistische Architektur der Nachkriegszeit ist eine gewisse Aufgeregtheit in der Gegenwartsarchitektur zu erkennen.
Dabei ist die Postmoderne auf der einen Seite eine vergangene und der Dekonstruktivismus auf der anderen Seite eine schon eher ausklingende Episode.
 
In einer pluralistischen Gesellschaft ist die Existenz dieser unterschiedlichen Phänomene zunächst als etwas belebende, die Diskussion anregendes zu bewerten. Ebenso sind die Voraussetzungen und die daraus resultierenden Triebkräfte nachvollziehbar.
In vielen Fällen zeigt sich allerdings eine allzu schnelle Beschränkung der aufgezeigten Entwürfe auf rein formal ästhetische Gesichtspunkte. Am Ende ist dann oft das Resultat der aus sehr unterschiedlichen Positionen entwickelten Konzepte aus diesem Grund sehr ähnlich.
 
Ich habe den Eindruck, dass wir es bei diesem Phänomen letztlich nur mit zwei Seiten der gleichen Medaille zu tun haben, die man als Originalitätssucht bezeichnen kann.
Die inhaltliche Komponente wird dabei meist vernachlässigt. Angemessenheit und Nachhaltigkeit spielen hierbei kaum eine Rolle.
 
Eine Fülle von Scheinalternativen verspricht uns demokratischen Pluralismus, in Wirklichkeit ist es die Diktatur der Beliebigkeit.
 
Diese Verkürzung der Architektur wird der Komplexität der anstehenden Aufgaben nicht gerecht. Sie kann nicht Ersatz sein für die grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Grundbedürfnissen des Menschen, Häuser sind keine Kunst- sondern Bauwerke.
 
Leider hat hier die Architektur, obwohl von ganz anderer Natur, Phänomene der Kunstszene angenommen.
 
Architektur hat in der Regel eine Lebensdauer, die zu lange ist, um kurzlebige Moden unterworfen zu sein. Ich bin fest davon überzeugt, dass Architektur zu allererst einmal Probleme lösen muss und zwar in der Auseinandersetzung mit dem Ort, der Aufgabe und der Gesellschaft. Sie sollte dabei am Ende der einfachste und klarste Ausdruck dieser Rahmenbedingungen sein.
 
Angesichts offensichtlich beschränkter Ressourcen stellt sich die Notwendigkeit, die Dinge "auf den Punkt zu bringen", immer mehr. Es ist kein Platz für modisches Design.
 
Wenn jetzt der Eindruck entsteht, dass dies nur mit bürokratischer Disziplin erreichbar ist, so entspricht das jedenfalls nicht meiner Vorstellung.
Ich meine, dass man in unserer Zeit Architektur nur betreiben kann mit einem großen Maß an Humor. Humor, der einen in die Lage versetzt, die oft widersprüchlichen Anforderungen nicht additiv und brav nebeneinander abzuarbeiten, sondern schöpferisch damit umzugehen.
Die Kreativität führt nicht, wie vielleicht oft erwartet, zu besonders originellen Ergebnissen. Architektur ist in den besten Fällen oft nur ein Wiederentdecken von bereits gebauter oder gedachter Architektur, und ihre Übertragung in unsere Zeit.
Im Prinzip war eigentlich schon alles einmal da.
Zum Begriff der Einfachheit in der Architektur möchte ich den Architekten Heinrich Tessenow zitieren, der sagte:
"Nicht alles was einfach ist, ist gut, aber das Gute ist am Ende immer einfach".
Die Einfachheit darf nicht das formal-ästhetische Ziel sein; die Einfachheit steht am Ende eines langen Entwurfsprozesses, der schöpferisch die oft widersprüchlichen Anforderungen in Einklang bringt.
 
Interessant im Zusammenhang mit dem Entwerfen ist auch die Frage, welche Rolle dabei die Ratio auf der einen Seite und das Gefühl auf der anderen Seite spielen.
Mit zunehmender Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen häufen sich Erkenntnisse, die einem sagen, dass Ratio und Gefühl sich gegenseitig nicht ausschließen, sondern bedingen.
 
Es ist der kreative Prozess, ein Wechsel von Intuition und Reflektion (kritischer Betrachtung) dessen, was gerade aufs Papier gebracht wurde oder in einem Arbeitsmodell entstand. Vielleicht ist in diesem Zusammenhang der Vergleich mit einem anderen Metier erlaubt, der Musik.
 
In der Musik Johann Sebastian Bachs wird die Wechselwirkung zwischen Gefühl und Ratio geradezu zum "Markenzeichen". Künstlerische Intiution und mathematische Ordnung werden zum Synonym. Das Gegensatzpaar Gefühl und Ratio löst sich widerspruchsfrei auf.
 
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir noch ein paar Hinweise, was Architektur sein sollte, Kriterien, die bei unserer Arbeit eine wichtige Rolle spielen.
 
Gelassen und nachhaltig:
Alle Aufgeregtheit im Aufzeigen von technischen oder historistischen Aspekten führt letztendlich nur zu jeweils einer anderen Seite der gleichen Medaille, die man als Originalitätssucht bezeichnen könnte, Das Resultat ist oft von einer gewissen Beliebigkeit. Uns sind die elementaren Qualitäten von Architektur, die Gelassenheit und Nachhaltigkeit wichtiger als Originalität.
 
Großzügig:
Architektur sollte großzügig sein. Sie sollte sich durch Klarheit auszeichnen und Kompliziertes vermeiden. Die Großzügigkeit sollte für den Benutzer erlebbar sein.
 
Gebrauchstüchtig:
Architektur muss eine selbstverständliche Gebrauchsfähigkeit besitzen, die ohne Verlust auf Identität sich dem Ort und der Aufgabe stellt, die sich mit den Gegebenheiten des Alltags auseinandersetzt.
 
Materialhaftig:
Bauwerke erheben den Anspruch auf Dauerhaftigkeit. Sie sollten der Welt der Gegenstände und nicht der Apparate angehören.
Architektur ist nicht beliebig technisierbar. Deshalb sind natürliche Materialien vorzuziehen, sie sind dauerhaft, ökologisch sinnvoll und können in Würde altern. Bauwerke sind keine Wegwerfprodukte.
 
Wir sind von unserer modernen Welt alle überfordert durch Unmengen von Produkten und Informationen. In dieses Chaos ein Gefühl von Ordnung und Gelassenheit zu bringen, ist eine wesentliche Herausforderung für die Zukunft.
Die Grundelemente des Daseins - Licht, Raum und Natur - sind wesentliche Elemente des Entwerfens.
Der Mensch ist und bleibt dabei das Maß aller Dinge.
 
 
Prof. Dipl.-Ing. Rolf Hoechstetter
 
 

 

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